J. Sonntag: Klosterleben im Spiegel des Zeichenhaften

Cover
Titel
Klosterleben im Spiegel des Zeichenhaften. Symbolisches Denken und Handeln hochmittelalterlicher Mönche zwischen Dauer und Wandel, Regel und Gewohnheit


Autor(en)
Sonntag, Jörg
Reihe
Vita Regularis. Ordnungen und Deutungen religiösen Lebens im Mittelalter, Abhandlungen 35
Erschienen
Berlin 2008: LIT Verlag
Anzahl Seiten
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Paul Oberholzer

Welche Zeichen-, welche Verweisfunktion wohnt dem reglementierten hochmittelalterlichen, klösterlichen Alltag inne? Seit Gerd Althoff in seinen Studien zur inszenierten Herrschaft definierte Verhaltensregeln für beschriebene Handlungsabläufe postulierte, die Abhängigkeits- und Dienstverhältnisse zum Ausdruck bringen wollten, drängt sich diese Frage auf. Denn Althoff konnte normative Texte solcher Regeln nicht vorlegen, während der klösterliche Alltag mit determinierten und schriftlich festgehaltenen Ritualen durchstrukturiert war. Dass sich Jörg Sonntag mit dem vorliegenden Werk, der redigierten Fassung seiner an der Philosophischen Fakultät der Technischen Universität Dresden vorgelegten Dissertation, dieser Thematik erstmals eingehend widmet, verdient Beachtung. Dabei ist es bemerkenswert, dass umfassende Studien zu «liturgischen» Ordnungen bei Prozessionen und weiteren Gottesdiensten innerhalb der Kirchenmauern, nicht aber zum sonstigen Alltag, vorliegen. Dabei stammt unser heutiger Begriff «Liturgie» mit seiner Scheidung in sakral und profan aus dem 16. Jahrhundert und ist dem benediktinisch geprägten Mittelalter fremd. Der ganze Tagesablauf wurde als Gottesdienst aufgefasst.

Der Autor grenzt seine Studie zeitlich auf das hochmittelalterliche Reformmönchtum ein, beginnend mit den Lothringischen Reformkreisen im 2. Viertel des 10. Jahrhunderts in Gorze über Cluny, Hirsau, das italienische Fruttuaria und die Klöster, die sich von diesen Reformen erfassen liessen, bis zu den Zisterziensern und Prämonstratensern. Die Auswahl ist plausibel, der Bogen aber sehr weit gespannt. Die Differenzen zwischen den einzelnen Reformbewegungen sind gross, und das Quellenmaterial ist reichhaltig und disparat. Die wichtigste Quellengattung für die Analyse des Klosteralltags sind die Consuetudinarien. Sonntag zieht aber auch zahlreiche Traktate und Chroniken bei, die oft den Charakter der Streitliteratur tragen. Im Zentrum stehen Fragen um die authentische Auslegung der Benediktsregel und die Polemik gegen Ausdrucksformen anderer Klosterverbände, welche als Zeichen für ein Abweichen von monastischer Grundanliegen gedeutet werden.

Nach den Prologomena (I., 1–45) gliedert sich das Werk in vier Hauptteile. «Das Kloster als Imaginaire» (II., 46–119), worin das Klosterwesen insgesamt, vom Habit der Mönche bis zur Anordnung der Klosteranlage auf seine Verweisfunktion auf das himmlische Paradies untersucht wird, wobei das Kloster nie nur verweist, sondern selbst auch Paradies zu sein beansprucht. «Symbolisches Handeln nach Innen» (III., 120–526) als umfangreichster Teil widmet sich verschiedenen Riten, eingerahmt von der Mönchwerdung, d.h. den Aufnahmeriten, und dem Sterbe- und Bestattungsritual. Dazwischen werden das Amt des Klostervorstehers mit den Insignien, der Tagesablauf, die Mahlgemeinschaft, die Fusswaschung, das klösterliche Brauchtum, die Streitschlichtung, das Bestrafungsritual und der Krankendienst als zeichenhafte und determinierte Handlungen des Alltags beschrieben. «Symbolisches Handeln nach Aussen» (IV., 527–632) nimmt die Aufnahme der Gäste und die Reiseanleitungen für die Mönche unter die Lupe. Ein abschliessender Teil widmet sich dem Kloster als symbolische Ordnung (V., 633–653).

Es muss anerkennend festgehalten werden, das Spektrum in seiner zeitlichen und thematischen Ausdehnung ist enorm, ebenso das Quellenmaterial, das Jörg Sonntag gesichtet hat. Es stellt sich aber doch die Frage, ob eine stärkere Einschränkung nicht notwendig gewesen wäre. So hätten die historischen Umstände der einzelnen Klöster, denen die Quellen entstammen, mitberücksichtig werden können. Den grossen Wert des Buches machen die Darstellung und der Vergleich verschiedener Rituale anhand der Consuetudinarien aus. Dabei gelingt es dem Autor, den Aussagegehalt unterschiedlicher Zeichenhandlungen herauszuarbeiten. Zusätzlich unterlegt er diese mit Zitaten von Kirchenvätern und zeitgenössischen Mönchstheologen. Die Darstellungen bekommen damit aber einen aufzählenden Charakter, eine Quellentypologie fehlt ganz. Spätestens hier wird die Frage drängend, ob dem Autor die Quellen nicht über den Kopf gewachsen sind.

Die Mönche haben die Zitate über die Tischlesung, ihre lectio und im officium wiederholt gehört, als Florilegien aufgenommen und in ihr geistliches Leben eingebaut, ohne sich dabei mit dem geistesgeschichtlichen Hintergrund eines Augustinus von Hippo oder eines Dionysius Areopagitta auseinanderzusetzen. Dass dieselben Formeln bei einem spätantiken Autor und einem hochmittelalterlichen Mönchen aber in einem ganz unterschiedlichen Verständnishorizont aufgenommen werden und damit auch einen anderen Inhalt bekommen, ist evident und hätte von Jörg Sonntag irgendwie thematisiert werden müssen. Problematisch ist auch, dass im ganzen Buch immer wieder mit dem Begriff «Symbol» gespielt wird. Sonntag räumt ein, dass das Hochmittelalter über einen weiten Symbolbegriff verfügt. Er lässt aber ausser Acht, dass patristischen, spätantiken Zitaten ein neuplatonisches Symbolverständnis mit dem Weltbild einer gestuften Wirklichkeit von Urbild und Abbild zugrunde liegt. Das Symbol hat dabei keine Verweisfunktion, sondern setzt das Urbild real gegenwärtig, allerdings ohne mit diesem in seinen äusseren Merkmalen übereinstimmen zu müssen. Dieses realsymbolische Denken lag im Hochmittelalter so nicht mehr vor. Es ist möglich, dass der Autor berechtigterweise von anderen Voraussetzungen ausgeht. Dann wären aber klärende Worte nötig gewesen. Im Umgang mit dem Begriff «Symbol» ist grundsätzlich Vorsicht geboten, wenn es um die Rezeption spätantiker Schriften im Mittelalter geht. Zweifellos ging es den Mönchen darum, mit dem Kloster das Paradies auf Erden möglichst authentisch aufzubauen und darin ein engelgleiches Leben zu führen. Die Bauart, Gesten und Handlungen hatten aber eher im Sinne einer Allegorie Verweischarakter und nicht in realsymbolischer Aktualpräsenz.

Es stellt sich auch die Frage, ob Sonntag in der Falsifizierung anderer Thesen die nötige Fairness walten lässt. Ein konkretes Beispiel ist seine Frage nach dem qualitativen Wert der Mönchwerdung, bzw. welches Element ihr dauerhafte Geltung verlieh (155–164). Im Brennpunkt steht die Kritik: Habitus non facit monachum. Dabei korrigiert er Peter von Moos, demgemäss es für die Gültigkeit einer Mönchwerdung erst an der Wende zum 13. Jahrhundert auf «Innerlichkeit, Bewusstheit und Intentionalität» angekommen sei. Dass dies von Moos allen Ernstes vertritt, bzw. dass vorher «materielle, magieverdächtige Formen des Ritualismus » konstitutiv waren, ist mehr als fragwürdig, zumal Sonntag von Moos’ These nur umrisshaft darstellt. Sonntag kommt in diesem Kapitel zum Schluss, dass Rituale sich zu einem Zeichenkreis verbunden hätten und ihre Kraft neben den Gesten und den Lokalitäten ebenso aus der inneren «conversatio» herrühre. Das ist sicher korrekt, spiritualitätsgeschichtlich aber banal. Es besteht hier die Gefahr, dass unter Verwendung neuer Fachtermini längst Bekanntes wiederholt wird.

Der Befund des Buches bleibt ambivalent. Die Einleitung ist vielversprechend. Der Autor formuliert einen präzisen Forschungsgegenstand, der tatsächlich einer verstärkten Beachtung bedarf. Das Buch zeigt aber erst, wie notwendig es ist, zuerst detailliertere Studien zu einem kleineren Quellenbestand vorzunehmen, was es auch ermöglichen würde, Fragen des kulturellen und geistesgeschichtlichen Hintergrunds der Mönche konsequenter zu berücksichtigen.

Zitierweise:
Paul Oberholzer: Rezension zu: Jörg Sonntag, Klosterleben im Spiegel des Zeichenhaften. Symbolisches Denken und Handeln hochmittelalterlicher Mönche zwischen Dauer und Wandel, Regel und Gewohnheit (=Vita regularis. Ordnungen und Deutungen religiösen Lebens im Mittelalter, Bd. 35), Berlin et al., LIT-Verlag, 2008. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 104, 2010, S. 477.-478